Jeannette Hagen „Die verletzte Tochter“: Väterentbehrung eines Kindes

Das Buch „Die verletzte Tochter“ von der Autorin Jeannette Hagen hat einen großen Eindruck bei mir hinterlassen.  Als ich es zuklappte, war ich sehr berührt von der Geschichte von ihr und der Abweisung die sie durch ihren Vater erlebt hatte.  Es war anfangs schwer den parteiischen Reflex zu unterdrücken, zu hinterfragen, was denn die Mutter von ihr gemacht hat,  damit der Vater nichts von seinem Kind wissen wollte. Aber nachdem ich den Anfang dann nochmal gelesen hatte, musste ich mein Vorurteil beiseite legen. Dieses Kind war ein Kind aus einer Affäre und der Vater wollte von der Frucht dieses Seitensprungs nichts wissen. Er lehnte es von Anfang an ab, verweigerte den Kontakt. Wenn überhaupt eine Art von Entlastung seiner Person möglich ist, dann ist es die vage Möglichkeit, dass hier seine Ehefrau den Mann vor die Wahl stellte, sich vorm Kind fernzuhalten oder selbst alles zu verlieren. Aber dies könnte nur Jeannette’s Mutter aufklären. Im Buch gibt es dazu nur wenig Anhaltspunkte.

Also bleiben wir bei den Fakten. Sie erfährt erst spät, dass es nicht ihr echter Vater ist, der sie aufgezogen hat.  Und in einer sehr dramatischen Situation.  Danach war ihr bewusst, dass es hier einen Menschen gab, der eine ihrer Wurzeln darstellte, aber sie machte sich nicht auf die Suche, sobald sie konnte.  Warum bleibt auch etwas im Dunkeln.  Denn es klingt fast wie eine Entschuldigung, die sie zwar nicht nötig hat, aber dennoch durchklingen lässt, wie sie ihren ersten Kontaktversuch mit 25 Jahren beschreibt. Ihr eigenes Kind hatte eine Krankheit und sie will den Vater sprechen, damit geklärt wird ob es eine Erbkrankheit sein  könnte. Gleichzeitig beschreibt sie die inneren Kämpfe die sie von diesem Schritt in der Vergangenheit abgehalten haben.  Später sucht sie ihren Vater direkt auf und erlebt brüske Abweisung und beendet damit ihre Versuche die Vaterentbehrung auf diese Weise zu beenden.  Mit einer Art Wiederauferstehung, nachdem sie endlich die vergeblichen Anstrengungen aufgeben kann, sich endgültig von der Sehnsucht löst, sich eine Freiheit von der Wurzel Vater erarbeitet, endet das Buch.

Aber jeder Teil der Suche nach dieser Freiheit, wird begleitet von einer sachlichen Aufarbeitung des Themas und der jeweiligen Kapitelüberschrift. Mit großer Genauigkeit und sehr vielen Quellen nähert sich die Autorin von allen Seiten dem Problem. Und was bei dieser Vorgeschichte etwas überrascht, es wird nicht an Kritik an einem Mütterkult gespart.  Jener Teil einer falsch verstandenen Frauenbewegung, der eine Mutter-Kind Einheit propagiert, bei der ein Vater bestenfalls ein Helferlein sein kann, aber niemals gleichwertiger Partner, dem stellt sie ein klares „NEIN“ entgegen. Erzwungene Väterentbehrung sieht sie als  Verbrechen am Kind.  Es werden verschiedenste Studien als Beleg gebracht, wie schädlich es ist, Väter aus dem Leben der Kinder zu werfen. Es wird auch schonungslos die Wirkung auf Kinder, besonders auf Töchter untersucht, wie weit sich dieser Verlust von Vater im Leben des erwachsen werdenden Menschen, der Frau und ihren Beziehungen und Beschränkung von Möglichkeiten widerspiegelt. Auch die Söhne werden keinesfalls ignoriert, sondern auch deren fehlender Vaterbezug genauso stark thematisiert, wie der zur Tochter.

Ein Teil des Textes allerdings hat mich etwas ratlos zurückgelassen. Es sind eindeutige Bezüge zu feministischen Thesen vorhanden, etwa wenn sie vom Mythos des „weniger Gehalt bei gleicher Arbeit“ schreibt oder sich darauf bezieht, wie Mädchen daran gehindert werden vom „Patriarchat“ wagemutig, durchsetzungsfähig und aktiv unternehmend zu sein, weil diese als „männliche“ Eigenschaften deklariert sind. Und gleichzeitig wird von den „männlichen“ Eigenschaften gesprochen, die ein Kind vermisst, wenn der Vater nicht da ist.  Durchsetzungsfähigkeit, Wagemut und aktives Unternehmertum.  Ähnliche Widersprüche finden sich in einigen Passagen in denen sie Männlichkeit und Weiblichkeit beschreibt, sich mit der Geschlechterpolitik befasst.

Aber dies ist wirklich die einzige Kritik die ich an dem Buch anzubringen habe und tut der Gesamtwirkung keinen Abbruch.  Daher ist es von mir uneingeschränkt jedem Elternteil zu empfehlen, der sich auch nur mit dem Gedanken trägt, den anderen Elternteil loswerden zu wollen, weil man glaubt damit für das Wohl  des Kindes das Beste zu tun oder sich dem Kind gar nicht nähern will, weil man denkt dies würde das eigene Leben unzumutbar beeinträchtigen. Beides ist gegenüber dem Kind ein schweres Vergehen. Zwar wird unvergleichlich öfters Entfremdung betrieben (in der großen Überzahl von Frauen), aber auch das Zurückstoßen von Kindern ist Realität (dies dann meistens von Vätern).  Beides lässt dann schwer verwundete und tief verletzte Kinder zurück.  Töchter und Söhne. Auch für diese Menschen ist dieses Buch ein Pflaster für die Seele, finde ich.

Für ein faires Miteinander Gerhard Kaspar

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Bildquelle: http://www.morgenpost.de/berlin/article205618459/Berlinerin-sucht-ihren-Vater-und-wird-enttaeuscht.html

Ein Kommentar zu “Jeannette Hagen „Die verletzte Tochter“: Väterentbehrung eines Kindes

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